Demokratie in der Krise: Wider die Autokratien
Die Demokratie gerät
zunehmend unter Druck. Ein globales Bündnis aus Politik und
Zivilgesellschaften sollte Autokratien die Stirn bieten.

Ein als Ex-Präsident Trump verkleideter Demonstrant in Gefängniskleidung in New York 2020 Foto:
Carlo Allegri/reuters
Während die Welt mit dem
Coronavirus ringt, gerät die Demokratie unter Druck. Laut dem
Forschungsprojekt V-Dem hat sich 2020 eine globale
Autokratisierungswelle beschleunigt und das globale Demokratieniveau ist
auf das Level von 1990 gesunken. Dieses düstere Bild wird von anderen
Studien bestätigt.
Eine wertebasierte Politik ist das Ziel und abgestimmte Sanktionen bei groben Menschenrechtsverletzungen
Die in den USA ansässige Stiftung Freedom House berichtet, dass die globale Freiheit 2020 zum fünfzehnten Mal in Folge abnahm, und der Economist verzeichnete in seinem Demokratie-Index
den schlechtesten Zustand seit Beginn der Bewertungen in 2006.
Autoritäre Regierungen machten sich die Pandemie zunutze, um nicht nur
die Opposition im eigenen Land zu unterdrücken, sondern sich zunehmend
auch jenseits ihrer Grenzen einzumischen.
Für eine wirksame Gegenstrategie der bestehenden Demokratien könnte ein gemeinsamer Club entscheidend sein. Als der frühere US-Außenminister Mike Pompeo
im vergangenen Jahr eine Allianz der Demokratien ins Spiel brachte, war
die Glaubwürdigkeit der Trump-Regierung schon lange an einem Tiefpunkt
angelangt.
Trumps populistische „America
First“-Ideologie, seine Missachtung der Demokratie, seine Bewunderung
autokratischer Herrscher und zuletzt sein Versuch, das Ergebnis der
US-Präsidentschaftswahlen zu kippen, haben massiven Schaden angerichtet.
Nun aber könnte sich das Blatt wenden. US-Präsident Joe Biden
hat versprochen, in seinem ersten Amtsjahr einen globalen „Gipfel für
Demokratie“ auszurichten, wo die Weichen gestellt werden könnten.
Biden plant Demokratie-Gipfel
In einer vorläufigen nationalen
Sicherheitsstrategie heißt es, dass die Umkehrung des antidemokratischen
Trends in der Welt für die nationale Sicherheit der USA wesentlich sei.
Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell,
meint, dass die EU ihre Zusammenarbeit „mit anderen Demokratien
vertiefen sollte, um dem Aufstieg des Autoritarismus entgegenzuwirken“.
Ein neuer EU-Aktionsplan räumt der Demokratieförderung hohe Priorität ein.
Großbritannien will die Mitgliedschaft der Gruppe der Sieben (G7), bestehend aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien,
Japan, Kanada und die USA, um Australien, Indien und Südkorea
erweitern, um einen sogenannten „D10“-Club der Demokratien zu bilden.
Dabei ist nicht ersichtlich, warum es bei diesen zehn Ländern bleiben
sollte.
In der Bewertung von V-Dem ist auch
Indien in die Kategorie einer Wahlautokratie gerutscht, und bei Freedom
House wird das Land nur noch als „teilweise frei“ angesehen. Sogar
Frankreich, Italien und die USA werden im Economist-Index
als „mangelhafte Demokratien“ eingestuft. Der Club sollte für alle
Staaten offen sein, die ähnlich oder besser bewertet werden. Eine rote
Linie darf nur in Bezug auf solche Länder gezogen werden, die eindeutig
autoritär regiert werden.
Die G7 ist aber auch wegen eines
Mangels an Legitimität und Transparenz heftig in die Kritik geraten und
deshalb kein guter Ausgangspunkt. Zudem fehlen ein ständiges Sekretariat
und eine formale Struktur. Stattdessen könnte die seit 2000 bestehende
Gemeinschaft der Demokratien aufgewertet werden. Mit Ausnahme von
Australien, Deutschland und Frankreich gehören alle „D10“-Länder bereits
zu ihren 29 Mitgliedstaaten.
Mehr als ein Club ist nicht nötig
Es leuchtet nicht unmittelbar ein, warum
parallel eine weitere Gruppierung gebildet werden sollte. Der Blick
muss sich auch selbstkritisch nach innen richten. Wie Biden feststellte,
ist die Erneuerung der Demokratie im eigenen Land eine Voraussetzung
dafür, um in der internationalen Demokratieförderung wieder mehr
Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Umfragen zeigen, dass große Mehrheiten
weiterhin an die Demokratie glauben. Trotzdem besteht große
Unzufriedenheit darüber, wie sie in der Praxis funktioniert.
Die Regierungen werden als unfähig
wahrgenommen, Probleme wie Korruption oder Ungleichheit anzugehen und
die Bedürfnisse der einfachen Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Die
Stürmung des US-Kapitols durch einen rechtsgerichteten Mob am 6. Januar
veranlasste Außenminister Heiko Maas, einen „gemeinsamen Marshallplan für die Demokratie“ zu fordern. Es sei notwendig, „den Wurzeln der sozialen Spaltung in unseren Ländern auf den Grund zu gehen“.
Die Frage, wie die Demokratie nach innen
und außen verteidigt und gestärkt werden soll, kann nicht den
Regierungen allein überlassen werden. Es ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Biden will zu dem Demokratie-Gipfel
auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft einladen. Ein
Club der Demokratien sollte weitergehen und ein beratendes offenes
Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen unterhalten. Darüber
hinaus ist es wichtig, demokratisch gewählte Parlamentarier
einzubeziehen.
Der Club sollte daher auch ein globales
Netzwerk von Abgeordneten aus demokratischen Parteien organisieren, das
zudem demokratischen Oppositionellen aus autoritär regierten Staaten
offensteht. Schließlich könnte der Club auch eine transnationale
Bürgerversammlung einberufen, um Empfehlungen zu erarbeiten. Auf
nationaler Ebene gibt es gute Beispiele für dieses Format.
Nach außen sollte der Club nicht nur die
Demokratieförderung koordinieren, sondern für eine gemeinsame
wertebasierte Politik sorgen, einschließlich abgestimmter Sanktionen bei
groben Menschenrechtsverletzungen. Ganz besonders müssen größere
Anstrengungen unternommen werden, um den Einfluss autokratischer Staaten
innerhalb der Vereinten Nationen zurückzudrängen.
Der Club der Demokratien kann
zudem nur glaubwürdig sein, wenn er sich auch für mehr Demokratie in
globalen Institutionen einsetzt. Die Einrichtung einer Parlamentarischen
Versammlung bei den UN und das Instrument einer Weltbürgerinitiative bieten dafür Möglichkeiten.