Ich schwöre bei allem was mir heilig ist, wenn ich noch einen Text (geschrieben von Boomer- oder GenX-Redakteuer:innen) darüber lese, dass Millennials keine Häuser, Autos oder andere Besitztümer kaufen, weil wir “kein Interesse” mehr daran hätten und uns materielle Dinge einfach “nicht mehr so wichtig wären”, höre ich nicht mehr auf zu schreien. Wir kaufen uns diese Dinge nicht, weil wir sie uns nicht leisten können, Hans-Dieter. Und nein, das liegt nicht daran, dass wir nicht hart genug arbeiten oder zuviel Eiskaffee saufen.
Das liegt unter anderem an einem Arbeitsmarkt, der immer mehr auf Lohndumping setzt, und ja, das auch bei Akademikern. In meinem Freundeskreis sind von Informatikern bis Lebenskünstlern so ziemlich alle Berufsgruppen vertreten und so gut wie keine:r von uns verdient soviel, dass die Investition in eine Immobilie auch nur annäherend möglich wäre, die meisten von uns haben kein Auto oder haben es irgendwann verkauft, weil es eine finanzielle Belastung war. Ich kenne Leute, die mit zwei Abschlüssen von einem unterbezahlten Agenturjob zum nächsten krebsen, weil sie keine anderen Optionen haben. Der Arbeitsmarkt ist übersättigt, da nimmt man im Zweifel was man kriegt, egal wie scheiße bezahlt. Und bevor jetzt wieder irgendwelche Schlaumeier kommen: nein, wir können nicht alle Ingenieure oder Juristen werden. Zumal bei ersteren der Stellenstruggle auch schon real ist. Und auch wenn die Nominallöhne in den letzten 20 Jahren gestiegen sind, sind es die Reallöhne, also die tatsächliche Kaufkraft, nicht, da hier die Inflation reingrätscht. Fast alles kostet heute mehr, und das zeichnet sich an unseren Konten ab. Da braucht es weder Eiskaffee noch Avocadotoast.
Manchmal denke ich an die Schulzeit zurück und daran, dass unsere einzigen Lektionen in Sachen Finanzwissen die Spardose, die uns ein Herr von der örtlichen Sparkasse mit schlecht sitzender Krawatte mitgebracht hat, und das Planspiel Börse waren (alle die bei zweiterem mitgemacht haben, haben heute Crypto, fight me on this.) Alles was ich über Sparen und Geldanlagen weiß, habe ich mir über Youtube-Clips oder in mühsamen Gesprächen mit meinen Eltern angeeignet, wobei es manche Sparoptionen, die sie damals hatten, wie Bundesschatzbriefe, heute gar nicht mehr gibt, oder der Zinssatz so lächerlich ist, dass unter die Matratze stopfen aufs gleiche rauskommt. Und Gott bewahre, wenn man mal versucht, mit seiner Bank über dieses Thema zu sprechen – rest in peace die 40 Minuten Lebenszeit, die ich mal in einer Telefonwarteschlange verbracht habe, um etwas über ETF-Sparpläne zu erfahren. Kurzum: die Möglichkeiten, gewinnbringend zu sparen, sind schwieriger und komplexer geworden und nicht jeder von uns hat die zeitlichen oder intellektuellen Ressourcen, seinen Feierabend mit Recherche über Bitcoin zu verbringen.
Dazu kommt gesamtgesellschaftlich noch die immer größere Schere zwischen Arm und Reich, die sich durch die Pandemie noch verschärft hat und es für die weniger gut qualifizierten in unserer Alterskohorte fast unmöglich macht, Vermögen anzuhäufen. Es ist ermüdend, in den Medien immer wieder davon lesen zu müssen, “arm aber sexy” wäre unser selbstgewählter Lifestyle. Wir müssen über Geld reden. Dringend. Darüber wie der Staat unsere Renten langsam aber sicher in Luft auflöst. Darüber, wie Gehälter in manchen Branchen seit Jahrzehnten stagnieren oder sogar sinken. Darüber, dass Mieten in Großstädten ungehindert explodieren, die ländlichen Regionen aber immer mehr aussterben und damit keine Perspektive für uns bieten. Darüber dass es höchste Eisenbahn wäre, financial literacy in den Stundenplan aufzunehmen, damit die Generationen nach uns überhaupt noch eine Chance haben. Über unbezahlte Praktika, unterbezahlte Jobs, ein beschissen unfaires Steuersystem und soziale Absicherung. Was sagst du dazu, Hans-Dieter?
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