Katastrophenbewältigung im Wahlkampf: KandidatInnen kriegen die Krise
CDU-Kandidat Laschet patzt. Die angeschlagene Grüne Baerbock bleibt vorsichtig. Eine Chance für die SPD.
Annalena Baerbock hat im ARD-Morgenmagazin die Hände auf den Tresen gelegt. Sie wirkt aufgeräumt, bevor sie über die Flutkatastrophe spricht. Im Hintergrund ist die träge Spree im Berliner Regierungsviertel zu sehen. Kein Hochwasser, keine Schlammlawine, keine Gummistiefel. Es ist einer ihrer ersten Fernsehauftritte nach der Flut. Politikberater haben der Ökopartei empfohlen, große Bilder im US-Stil zu kreieren. Baerbock im Hochwasser, die vor den Folgen der Klimakrise warnt. Es ist ja das Kernthema der Grünen.
Doch die grüne Kanzlerkandidatin war ohne Presse und Kamera in den Hochwassergebieten. „Es ging mir darum, wirklich zuhören und auch trösten zu können. Da macht es einen Unterschied, ob Kameras laufen oder nicht“ sagte sie dem Spiegel. Keine Bilder vor zerstörten Landstrichen. Wohl auch, damit ihr niemand vorwerfen kann, dass sie bloß Punkte machen wolle. Baerbock hat als Oppositionspolitikerin keine Gestaltungsmacht, Krisen sind Zeiten der Exekutive. Und natürlich ist der noble, mehrfach betonte Verzicht der Grünen auf Bilder und Inszenierung auch eine Inszenierung.
Die Grünen wollen einfühlsam und lösungsorientiert wirken. Und auf keinen Fall besserwisserisch daherkommen. In Baerbocks erster Stellungnahme nach der Katastrophe kam das Wort Klimakrise nicht einmal vor – während die politische Konkurrenz nicht davor zurückscheute, mehr Klimaschutz zu fordern. Die Grünen sind vorsichtig, wollen nach den Plagiatsdebatten um Baerbock bloß nichts falsch machen.
Schnell droht ein PR-Desaster
Wenn es an Vorsicht fehlt, passieren schnell PR-Desaster. Das zeigte der Auftritt von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Erftstadt redete, amüsierte sich der NRW-Ministerpräsident im Hintergrund köstlich und bog sich fast vor Lachen. Bei 170 Toten kein günstiges Bild. Zuvor hatte der Kanzlerkandidat der Union bei seinem ersten Besuch im Katastrophengebiet den Krisenstab in Hagen eineinhalb Stunden warten lassen. Er wollte lieber Bild-TV noch ein Exklusiv-Interview geben.
Am Dienstag versuchte Laschet dann sein ramponiertes Image aufzubessern. An der Seite der Kanzlerin lief er durch die zerstörte Altstadt von Bad Münstereifel. Doch eine gute Figur als Krisenmanager macht er auch da nicht. Laschet trägt glänzende Lederschuhe und ein blütenweißes Hemd – und wirkt neben den schlammverschmierten Helfern wie im falschen Film. Die krisenfeste Kanzlerin hält, in Wanderschuhen, eine knappe Ansprache, betrauert die Opfer und würdigt die überwältigende Solidarität. Das Publikum applaudiert. Laschet hingegen lobt vor allem seinen eigenen Beitrag zur Katastrophenbewältigung – der Beifall bleibt aus. Dass ein Anwohner Merkel auch auffordert, doch bitte nochmal als Kanzlerin anzutreten, so der Spiegel, komplettiert das Bild: Laschet kann es nicht.
Dabei wäre die Flutkatastrophe eine ideale Gelegenheit gewesen, sich endlich mal als verlässlicher Macher ins Bild zu rücken. So wie Helmut Schmidt 1962. Oder Gerhard Schröder 2003. Zumal Krisenbewältigung in der Ära Merkel zur Kernkompetenz der Union geworden ist. Umso schlimmer wirken Laschets Auftritte: Kaum passiert etwas Unvorhergesehenes, stolpert der CDU-Chef durch die Szenerie.
Auch ohne diese Flops bringt die Flut das Wahlkampfkonzept der Union kräftig durcheinander. Man wollte mit unkonkreten Wohlfühlbotschaften punkten. Doch dass alles bleiben kann wie es ist, wirkt angesichts der Katastrophe deplatziert. Laschet sagt in Bad Münstereifel darum, man müsse nun „alles gegen den Klimawandel tun“. Doch das Kostüm des entschlossenen Klimaschützers passt ihm nicht. Der Kohleausstieg, den er als seinen Erfolg verkaufen will, wurde gegen seinen Widerstand durchgesetzt. Seine Regierung behindert in NRW den weiteren Ausbau der Windenergie massiv. Klimapolitisch hat die Union bislang auf der Bremse gestanden. Und in ihrem Wahlprogramm steht zwar das Ziel, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll. Wie, bleibt allerdings offen, denn zu allen konkreten Maßnahmen sagt die Union nein.
„Mit dieser Katastrophe ist für alle Parteien die Ernsthaftigkeit in den Wahlkampf zurückgekehrt“, sagt der Grüne Jürgen Trittin zur taz am wochenende. „Die CDU will die oberen 10 Prozent entlasten, die FDP geht noch weiter. Vor dem Hintergrund der Investitionen, die auf uns zukommen, ist das völlig unseriös.“
„Mit dieser Katastrophe ist die Ernsthaftigkeit im Wahlkampf zurück“
Trittin war bei der Hochwasserkatastrophe 2002 Bundesumweltminister. Er weiß, welche Konflikte es geben wird. 2005 hatte Rot-Grün per Gesetz ein weitgehendes Bauverbot für Gegenden verfügt, die einmal in 100 Jahren von Hochwassern heimgesucht werden. Die Karte der Überschwemmungsgebiete müsste nun neu gezeichnet werden, was zu Konflikten führen könne, denn manche Häuser, die weggespült wurden, „werden nicht wieder aufgebaut werden, weil wir mehr Überschwemmungsflächen brauchen“, so Trittins Prognose. Um ähnliche Katastrophen zu vermeiden, müsse man mehr gegen die globale Erhitzung und für Klimaanpassung tun. Und das kostet.
Die Idee der Grünen: Die Kommunen brauchen Risiko- und Klimaanpassungspläne. Das Geld dafür soll aus einem vom Bund finanzierten Vorsorgefonds kommen. Die Pläne reichen vom Umbau der Kanalisation bis zur digitalen Überwachung von Pegelständen bei Bächen. Klar ist, dass die Städte hochwassertauglicher werden müssen und die zunehmende Flächenversiegelung gestoppt werden muss.
Auch SPD-Vize Kevin Kühnert ist überzeugt, dass die Flut neue Antworten erfordert – und plädiert für einen Fonds, um unvermeidliche Schäden zu kompensieren. „Wenn die Ahr acht Meter Hochwasser führt, dann ist das eine Größenordnung, gegen die konventionelle Schutzmaßnahmen kaum mehr helfen. Wenn es mehr Katastrophen gibt, werden wir von Härtefallfonds zu institutionalisierten Infrastrukturfonds übergehen müssen“, so Kühnert. Auch die Union findet, dass etwas geschehen muss. So fordert Laschet in Bad Münstereifel: „Wir müssen Vorsorge treffen für all diese Starkwetterkrisen und -katastrophen“. Doch was das konkret heißen soll, bleibt mal wieder unklar.
Olaf Scholz stapft am Sonntagnachmittag mit Regenjacke, Jeans und Wanderschuhen eine verdreckte Straße hinauf. In Schönau bei Berchtesgaden hat eine Schlammlawine Häuser weggerissen. Scholz besichtigt mit Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder die Schäden. Eine Frau, deren Haus durch die Katastrophe verschwunden ist, weint und scheint nahe am Nervenzusammenbruch. Söder legt die Hand auf ihre Schulter und sagt „Wir lassen Sie nicht allein“. Scholz steht etwas ratlos daneben und kündigt rasche Hilfe an. „Das ganze Land muss helfen“, sagt er später in die Kameras.
Scholz war zweimal an Orten der Katastrophe. In Bayern und mit SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Ahrweiler. Am Mittwoch sitzt er neben Horst Seehofer in der Bundespressekonferenz und sagt: „Vor Ort zu sein ist anders als nur die Bilder im TV zu sehen“. Der Bund hat 200 Millionen Euro Soforthilfe zu Verfügung gestellt. „Aber wenn es mehr wird, dann ist das so“, so der SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister. Betroffene trösten ist nicht sein Metier, Geld locker machen und unbürokratisch Hilfe versprechen schon eher. „Wir tun, was nötig ist“, sagt Scholz, der sonst oft zu unübersichtlichen Sätzen mit Substantivierungen neigt. Er will als solider Macher wahrgenommen werden.
Kevin Kühnert früher mal Scholz' Gegenspieler in der Partei, lobt die Performance des Kandidaten – was sonst. „Scholz ist dezent und der Lage angemessen aufgetreten.“ Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans findet, dass „Scholz ausstrahlt, dass er es ernst meint.“ Aber müssen Politiker eigentlich unbedingt bei den Aufräumarbeiten dabei sein? „Sie müssen keine Schippe in die Hand nehmen. Ihr Job ist es, als Repräsentanten des Staates Solidarität zum Ausdruck zu bringen“, so Kühnert recht staatstragend zur taz am wochenende.
Was tun die Menschen nach der Flut im Westen Deutschlands? Wie reagiert die Politik? – in der taz am wochenende vom 24./25. Juli. Außerdem: Die Mutter der TV-Journalistin Marion von Haaren wurde aus Pommern vertrieben, den Holocaust nannte sie „Propaganda der Alliierten“. Eine Aufarbeitung. Und: In einem Wald bei Bielefeld soll eine Herde Mufflons abgeschossen werden, die an den Bäumen nagt. Doch es gibt Protest. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Twitter.
Die Grünen sind auffällig vorsichtig mit Laschets Lacher-Auftritt umgegangen. Wohl um den künftigen Koalitionspartner nicht zu provozieren. Die SPD hingegen hat kräftig ausgeholt. Walter-Borjans hält Laschet für „oberflächlich“. Die Szene in Erftstadt, so der SPD-Chef, habe dessen „Charakterschwächen deutlich“ gemacht. Auch Kühnert kritisiert, der CDU-Chef müsse doch wissen „wie soziale Medien funktionieren und sich unter Kontrolle haben“. Die Botschaft der SPD ist klar: Scholz hat sich unter Kontrolle und tut das Nötige. Laschet, unstet und überfordert, ist da die Kontrastfolie.
Für die SPD ist die Flut eine Gelegenheit. Baerbock ist noch immer angeschlagen, Laschet blamiert. Nur Scholz ist immer Scholz. Verlässlich, langweilig, mittig. Die Fortsetzung von Merkel, wenn auch nicht so nett. Die SPD kam in den Plänen, wie es nach dem 26. September weitergeht, kaum noch vor. Vielleicht hat sie jetzt doch wieder eine Chance mitzuspielen. Es ist ihre letzte.
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