Benachteiligte Mieter : Eine Wohnung zu finden dauert Jahre
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Für benachteiligte Gruppen ist es aus verschiedenen Gründen besonders schwierig, eine Wohnung zu finden. (Symbolbild) Bild: Sieber, Laila
Suchtkranke, Behinderte und Alte sind bei der Wohnungssuche stark benachteiligt. Das zeigt eine Studie der Liga der Freien Wohlfahrtspflege. Brüche in der Biographie schrecken viele Vermieter ab.
Wenn es in Hessen mehr geeignete Mietwohnungen gäbe, dann könnten doppelt so viele Menschen im Jahr Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege verlassen. Menschen, die in Frauenhäusern Unterschlupf gefunden haben oder in Einrichtungen der Drogenhilfe leben. Doch sie bleiben oft in den Einrichtungen, weil sie keine Wohnung finden. Zu diesem Schluss ist eine durch die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Auftrag gegebene Studie gekommen, die Probleme für Menschen mit Behinderung, Suchtkranke, psychisch Kranke oder Haftentlassene unter dem Titel „Wohnraumbedarf benachteiligter Gruppen“ untersucht hat.
Die Studie haben Vertreter der Liga, in der Verbände wie die Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Diakonie organisiert sind, am Mittwoch vorgestellt. Befragt wurden mehr als 300 Einrichtungen mit 20.000 Klienten, die ihre Erfahrungen schildern konnten. Die Erhebung ist nur eine Momentaufnahme, die den Status quo in den befragten Einrichtungen zeigt. Die Zahlen für ganz Hessen sind wahrscheinlich weit höher, wie die Autoren der Studie vermuten.
Auch wenn die Ergebnisse nur eine Stichprobe abbilden, sprechen die Zahlen deutlich: Etwa 4000 Personen verlassen im Jahr die befragten Einrichtungen in Hessen. 3952 Klienten mussten im vergangenen Jahr aber weiter in den Institutionen bleiben, weil es einfach keine Wohnungen auf dem freien Markt für sie gibt.
Lange Belegzeiten und zu wenig Platz
Das bedeutet auch, dass Frauenhäuser oder andere Hilfseinrichtungen sehr lange Belegzeiten haben und es zu wenig Platz für andere Menschen gibt, die Unterstützung brauchen. „Die Menschen verbleiben in einer Hilfeform, für die sie eigentlich keinen Bedarf mehr haben – das bindet Kapazitäten, die wir dringend brauchen“, sagte Stefan Baudach von der Caritas.
2018 wurden nach den Erkenntnissen der Studie zum Beispiel gerade mal 314 Zimmer in hessischen Frauenhäusern frei. Dem stand ein Bedarf von Tausenden Frauen gegenüber. 2697 Frauen wurden nicht aufgenommen.
Auch im vergangenen Jahr beobachteten die Einrichtungen dieses Problem. Die Frauenhäuser waren voll, wie Baudach sagt. Auch andere Einrichtungen berichten von ähnlichen Erfahrungen. Fünf Prozent der Bewohner der befragten stationären Pflegeeinrichtungen könnten zum Beispiel eigentlich selbständig wohnen.
Warum ist es so schwer, eine Wohnung zu finden? In einem kleinen Film hat die Liga Betroffene zu Wort kommen lassen; eine Frau, die nach Gewalterfahrungen in ihrer Partnerschaft in einem Frauenhaus untergekommen ist, berichtet dort, wie sie auf dem Amt „runtergemacht“ wird, wie sie sich als Außenseiterin der Gesellschaft fühle, „weil man nicht mehr so mitten im Leben steht“.Die Studie zeigt: 40 Prozent der Bewohner von Hilfseinrichtungen brauchen länger als ein Jahr, um eine Wohnung auf dem freien Markt zu finden. 84 Prozent geben an, dass sie die Unterkunft nicht verlassen können, weil günstiger Wohnraum fehlt, 80 Prozent sagen, dass kleine Wohnungen fehlen. Als Hindernisse zählen sie ihr geringes Einkommen auf, Vorurteile und ihre persönlichen Probleme, die zu Diskriminierung führen.
Die allgemein angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt wirkt sich nach Ansicht der Liga negativ auf die Schwächeren in der Gesellschaft aus. Um den ohnehin knappen geeigneten Wohnraum konkurrieren sie mit hunderttausend anderen. Dabei haben sie, wie die Autoren der Studie feststellen, besondere Nachteile.
Behinderte und ältere Menschen brauchten zum Beispiel eine barrierefreie Wohnung; viele bekommen außerdem, weil ihre Rente oder der Lohn einer Behindertenwerkstatt nicht ausreicht, zusätzlich Grundsicherung – was sie zu unbeliebten Mietern mache.
Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, Drogen nehmen oder obdachlos sind, hätten es zusätzlich schwer: Schufa-Einträge, Brüche in der Biographie, frühere Räumungsklagen und Verschuldung schreckten viele Vermieter ab.
„Wohnen ist Teil der Daseinsvorsorge“
Jugendliche, die mit 18 Jahren aus einer Einrichtung der Jugendhilfe ausziehen müssen, stehen nach den Beobachtungen der Studienautoren vor anderen Herausforderungen. Sie haben wenig Erfahrung, meist keine Eltern, die für sie bürgen.
Meist fehlt auch Geld – die Miete muss vom Jobcenter übernommen werden, was zum einen bedeutet, dass der Mietpreis einen gewissen Satz nicht überschreiten darf, zum anderen wieder dafür sorgt, dass die Jugendlichen damit nicht als „vollwertige Mieter“ betrachtet würden, wie Einrichtungen der Liga berichten.
Die Liga fordert daher das Land auf, in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Der öffentliche Wohnungsbestand müsse erweitert werden, zudem brauche es Förderprogramme für barrierefreie Wohnungen und Wohnraumhilfe. „Wohnen ist auch ein Teil der Daseinsvorsorge“, sagte Jörg Klärner aus dem Vorstand der Liga. Der Mangel an Wohnungen sei die große soziale Frage unserer Zeit.
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