Der EU-Beamte Prabhat Agarwal soll an diesem Morgen die mächtigsten Konzerne der Welt bekämpfen, aber sein Sohn hat verschlafen. Es ist kurz nach acht, ein Dienstag Mitte November, als sich Agarwal, Vater dreier Teenager, aus dem Auto meldet: Es tue ihm leid, er habe seinen Sohn zur Schule fahren müssen. Jetzt habe er eine Stunde Zeit, um zu reden, danach müsse er dringend ein Treffen mit Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten vorbereiten.

Agarwals Tage sind durchgetaktet: Auf Gespräche mit Experten folgen Treffen mit EU-Kommissar Thierry Breton, Agarwals Chef. Zwischendurch liest Agarwal Lobby-Papiere und spricht mit seinem 22-köpfigen Team, und das inmitten einer Pandemie, die selbst den Brüsseler Bürokratieapparat seit Monaten ins Homeoffice zwingt.

Verzögerungen kann sich Agarwal, ein Hamburger mit indischen Wurzeln, nicht leisten. Dafür ist die Aufgabe zu wichtig, mit der die EU-Kommission ihn beauftragt hat: Agarwal, 48, soll neue Regeln finden, um die Macht von Google, Amazon, Facebook und Apple zu beschränken. Er sagt: "Die Leute schauen auf das, was wir machen, auch weltweit. Natürlich lastet auf unserem Team großer Druck."

Agarwals Projekt gilt als eines der wichtigsten der EU-Kommission. "Wir akzeptieren die Machtstellung der großen Plattformen nicht mehr so einfach", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich der ZEIT.

Übernächste Woche wollen Thierry Breton und Margrethe Vestager, die politisch verantwortlichen EU-Kommissare, das Gesetzespaket der Öffentlichkeit vorstellen. Dann wird sich zeigen, ob Agarwal und sein Team erfolgreich waren. Ob es der Brüsseler Bürokratie gelingt, die Internetnutzer und Kleinunternehmer besser vor Übergriffen auf ihre Daten und ihr Geschäft zu schützen. Oder ob es die Lobbyisten der Konzerne geschafft haben, das Vorhaben zu verwässern, so wie etwa Google das laut einem firmeninternen Papier beabsichtigte.

Google, Amazon, Facebook und Apple haben sich für Milliarden Nutzer unersetzlich gemacht und bestimmen de facto die Regeln im Netz. Die Suchmaschine Google drängt Konkurrenten angeblich aus dem Markt, weshalb das US-Justizministerium sie gerade verklagt hat. Amazon zwingt Tausenden Online-Händlern Geschäftsbedingungen auf, die viele von ihnen als ausbeuterisch empfinden. Facebook bestimmt, welche schmutzigen Inhalte es von seiner Plattform entfernt und welche nicht. Und Apple verlangt von App-Entwicklern eine so hohe Provision, dass diese öffentlich rebellieren.

Lange stand die EU-Kommission dem ohnmächtig gegenüber. Drei Kartellverfahren gegen Google, mit denen sich Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager als Schrecken des Silicon Valley profilierte, dauerten Jahre und änderten wenig. Irland und andere Mitgliedsstaaten verstehen sich als sichere Häften für die Digitalkonzerne und torpedierten die Politik aus Brüssel.

Es war das Jahr 2000, als die Beamten der Europäischen Union zuletzt eine Art europäisches Grundgesetz für das Internet verfassten. Die Gründer von Google waren damals gerade aus einer Garage in ihr erstes Büro umgezogen, Facebook existierte noch gar nicht. Seitdem sind aus Start-ups Weltkonzerne geworden. Das Gesetz von 2000 hatte sich schnell überholt, doch der EU-Apparat reagierte nicht. Frühere Kommissare sollen sogar stolz darauf gewesen sein, keine Ahnung vom Internet zu haben.