Bundeszentrale für politische Bildung: Seehofers Haus diktierte Definition
Die „Bild“ und ein CDU-Politiker machen Druck. Dann greift das Innenministerium in den Linksextremismus-Teaser der bpb ein. Das zeigen nun interne Mails.
Es ist nur ein Satz, aber der Streit über ihn sagt viel aus über die politische Gegenwart in der Bundesrepublik und die Geisteshaltung in manch ihrer Institutionen:
„Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.“
Man erkennt, wie maßgeblich die Bild die Überarbeitung des Teasers im Linksextremismusdossier angestoßen hat
Im Januar hatte die taz darüber berichtet, wie sich über diesen Satz, der aus der ehemaligen Einleitung des Linksextremismus-Onlinedossiers der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stammt, zuerst ein konservativer und rechter Shitstorm bildete; und wie dieser Satz, der von einem renommierten Wissenschaftler verfasst worden war, zuerst aus dem Netz genommen und dann durch eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition des Verfassungsschutzes ersetzt worden ist.
Schon damals war bekannt, dass die bpb diese Änderung auf Anweisung des Bundesinnenministeriums (BMI) vorgenommen hatte, denn die Bildungsbehörde ist dem Ministerium nachgeordnet, das BMI hat die Fachaufsicht über die bpb inne. Konkret heißt das, dass die bpb dem zuständigen BMI-Referat berichten muss und das Referat zugleich die Möglichkeit hat, in die Arbeit der bpb einzugreifen, wenn es einen Anlass dazu sieht.
BMI hatte verneint, dass Leitung eingebunden war
Genau dies geschah in dem Fall des Linksextremismus-Teasers. Im März hat die taz bereits anhand der Mailkorrespondenz zwischen der bpb und dem BMI rekonstruiert, wie der Eingriff erfolgt ist. Diese lag ihr als Ergebnis einer Anfrage des Informationsportals FragDenStaat nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vor. Bemerkenswert an dieser Kommunikation war, dass das BMI mehrere wissenschaftliche Änderungsvorschläge der bpb zurückgewiesen hat, und der bpb am Ende eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition ähnlich jener des Verfassungsschutzes aufgedrängt hat, an der die für die politische Bildung eigentlich nicht zuständige BMI-Abteilung für öffentliche Sicherheit (ÖS) mitgewirkt hatte.
Nun liegt der taz die interne Kommunikation des BMI vor, ebenso als Ergebnis einer IFG-Anfrage von FragDenStaat. Absender- und Empfängeradressen hat die Behörde geschwärzt, die wichtigsten Akteure lassen sich aber über Signaturen und die Inhalte der Mails rekonstruieren.
Aus dieser Kommunikation geht einerseits hervor, welch zentrale Rolle die Bild-Zeitung und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des bpb-Kuratoriums, beim Eingriff des BMI gespielt haben.
Andererseits ist der behördeninternen Kommunikation zu entnehmen, dass die Hausleitung, anders als zunächst behauptet, doch entscheidend in den Vorgang eingebunden gewesen ist – das BMI hatte im Februar gegenüber der taz die Frage verneint, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer oder zuständige Staatssekretäre in die Überarbeitung des Einleitungstextes eingebunden gewesen seien.
Das Ministerium hat also gelogen, um das Ausmaß dieses Vorgangs zu verschleiern, der sich nun mit Blick auf die interne Kommunikation des Ministeriums weiter vervollständigt. Aktiv beteiligt an dem Vorgang war, das geht aus dem Schriftverkehr hervor, das Ministerbüro von Horst Seehofer, eingebunden waren zudem Staatssekretäre.
„Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“
Die Rekonstruktion:
Am 11. Januar setzt die Bild-Zeitung den Vorgang, der letztendlich zur Überarbeitung des Teasers führen wird, wie folgt in Gang: Nach rechter Empörung auf Twitter am 10. Januar fragt Bild bei Thorsten Frei an, verweist dabei auf einen Tweet von Hubertus Knabe. In der Anfrage, die der taz vorliegt, heißt es:
„Wie schätzen Sie das ein? Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“
Ein Mitarbeiter von Frei liefert schon nach knapp zwei Stunden mehr als ein griffiges Zitat und weist darauf hin, dass Frei gerne in seiner Funktion als Kuratoriumsvorsitzender der bpb zitiert werden könne. Am Abend desselben Tages kontaktiert ein Mitarbeiter von Frei das BMI und verweist auf die Presseanfrage der Bild. Frei, heißt es in der Mail an das BMI, „würde sich sehr freuen, wenn Sie auch diesen Sachverhalt in Ihrer Aufsichtsfunktion genauer in den Blick nehmen könnten“. Und weiter: „Zumindest sollte unserer Ansicht die irritierende Darstellung auf der Webseite entsprechend kritisch überarbeitet werden.“
Gleichzeitig regt der Mitarbeiter ein Gespräch des BMI mit der bpb-Leitung an, bei dem man „durchaus auch noch einmal über die Darstellung bestimmter Themen sprechen“ könne. Zum Thema Linksextremismus gäbe es kaum Publikationen, und „bei dem wenigen, das es gibt, passieren solche Schnitzer“.
In einer Antwort des BMI am darauffolgenden Tag versichert dieses, dass man eine Korrektur des Textes mit der bpb besprechen und das Anliegen des Abgeordneten auch bei einem Gespräch mit der bpb-Leitung thematisieren werde. Am 11. Januar stellt die Bild auch eine Anfrage an das BMI, was die behördeninterne Kommunikation zum Vorfall endgültig in Schwung bringt, und es beginnen Beratungen über eine bestmögliche Antwort auf diese Presseanfrage der Bild.
In der Kommunikation zwischen den zuständigen BMI-Stellen wird über einen Antwortvorschlag beraten, in dem es heißt, dass das BMI die bpb gebeten habe, die Formulierung zu überarbeiten, „um Missverständnisse künftig auszuschließen“. Der Vorschlag sei so formuliert, weil der Verfasser die Befürchtung habe, „dass Bild andernfalls titelt ‚BpB relativiert Linksextremismus und BMI findet nichts dabei‘“.
Dieser Vorschlag wird dann zur „Billigung“ dem „St K“, also offenbar dem zuständigen Staatssekretär Markus Kerber, vorgelegt. Auch eine interne Sprachregelung bezüglich der Antwort an die Bild wird vereinbart. Der parlamentarische Staatssekretär Volkmar Vogel hat zuvor mit Verweis auf Posts verschiedener Bundestagsabgeordneter und einer Beschwerdemail darum gebeten. Nach kleinen Überarbeitungen verschickt das Ministerium die Antwort auf die Presseanfrage.
„Bild“-Zeitung als Impulsgeber
Man erkennt schon an diesem Punkt, wie maßgeblich die Bild-Zeitung die Überarbeitung des Teasers im Linksextremismusdossier angestoßen hat – wie sehr die Beamten des BMI ihr Handeln an der Berichterstattung der Bild-Zeitung ausrichten.
Am 12. Januar tritt das BMI in den Austausch mit der bpb und veranlasst, den Einleitungstext aus dem Netz zu nehmen und einen neuen Einleitungstext abzustimmen. Die bpb antwortet, dass sie bereits eine Überarbeitung vorgenommen habe.
Der Linksextremismus-Teaser ist nur ein Beispiel für die Einflussnahme auf die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung.
Anfang Juni hat das Bundesinnenministerium (BMI) nach entsprechenden Tweets und der Bild-Berichterstattung angekündigt, das bpb-Projekt „Say My Name“ zu überprüfen. Diskussionsgegenstand ist dabei ein Instagram-Post, in dem sich die bpb auf den von taz-Kolumnist Mohamed Amjahid verwendeten Ausdruck „Süßkartoffel“ bezieht, den dieser für Verbündete von Menschen benutzt, die von Rassismus betroffen sind.
2019 hat das BMI die bpb veranlasst, den Aktivisten Philipp Ruch vom bpb-Bundeskongress auszuladen.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom März dieses Jahres gehen weitere Einflussnahmen des BMI hervor:
Im Rahmen des Schülerwettbewerbs 2018/2019 hat das BMI die Überarbeitung einer Aufgabenstellung zu Karl Marx veranlasst.
2016 wurde nach Kritik eine Passage in der Publikation „Sexismus begegnen“ gestrichen.
2015 hat das BMI einen Band zu „Ökonomie und Gesellschaft“ für die weitere Auslieferung und Bereitstellung gesperrt. Hintergrund war eine Beschwerde der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Nach Ergänzungen „bezüglich der Kontroversen zum Thema“ sei dieser wieder freigegeben worden.
Diese neue Version ist etwas ausführlicher als die vorherige, enthält ein Zitat des Soziologen und Politikwissenschaftlers Armin Pfahl-Traughber, ehemaliger Referatsleiter der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch der umstrittene Satz ist noch da. Doch heißt es nicht mehr, dass sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit „teilen“, sondern sich auf diese „berufen“.
Das für die bpb zuständige BMI-Referat GII4, „Politische Bildung und politische Stiftungen“, möchte den „streitgegenständlichen Satz“ aber entfernt haben, weil es auch so bei der „Vermischung von kommunistischen Bewegungen mit liberalen Ideen“ bleibe, das könne „als Relativierung und Verharmlosung von Kommunismus verstanden werden“. Auch der nächste Vorschlag der bpb vom Morgen des 13. Januar enthält ein Zitat von Pfahl-Traughber, der umstrittene Satz aber ist nun verschwunden. Das trifft im zuständigen BMI-Referat auf Einverständnis.
Diese Version, heißt es in der Kommunikation, solle nun der Leitung der Abteilung G zur Billigung vorgelegt werden, das ist die für die bpb zuständige Abteilung „Grundsatz, Planung und Kommunikation“. In der Behördenhierarchie befindet sich diese Abteilungsleitung direkt unter dem Staatssekretär, in diesem Fall Markus Kerber, auf den der Bundesinnenminister folgt.
An diesem Punkt scheint die Sache also bereits erledigt zu sein. Ein Eingriff durch das BMI ist zwar erfolgt, ein Satz wurde gelöscht. Aber die bpb hat es noch geschafft, an einer halbwegs wissenschaftlichen Definition von Linksextremismus festzuhalten und in der neuen Version zumindest einen Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen.
Es bleibt aber nicht dabei. Denn nun schaltet sich das oberste Glied in der BMI-Hierarchie ein. Und das tut es unmittelbar nachdem am Abend des 12. Januar die Bild-Zeitung einen Bericht über den Vorfall veröffentlicht hat.
Am Morgen des 13. Januar gehen zwei Mails aus dem Ministerbüro von Horst Seehofer raus: Zunächst um 8.32 Uhr eine an die für die bpb zuständige Abteilung G und Unterabteilung GII sowie den Staatssekretär Kerber mit der Bitte um eine Stellungnahme zum Bild-Artikel, der überschrieben ist mit „‚Verharmlosung des Kommunismus‘: Sind Linke die besseren Extremisten? Kritik an Linksextremismusdarstellung der Bundeszentrale für politische Bildung“. Das ist der Artikel, in dem man die „griffigen Zitate“ des CDU-Abgeordneten und bpb-Kuratoriumsvorsitzenden Frei neben Äußerungen von Knabe findet.
Die zweite Mail geht 11 Minuten später an das Referat ÖSII3, das für „Terrorismus/Extremismus rechts/links; Politisch motivierte Kriminalität“ verantwortlich ist, in CC gesetzt ist die diesem Referat vorangestellte Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ und deren Unterabteilung sowie der verantwortliche Staatssekretär Hans-Georg Engelke. Eine Kopie geht in einer zweiten Mail („Ich habe vergessen, Sie in cc zu nehmen …“) auch an das für die bpb zuständige Referat GII4. In der Mail heißt es:
„ÖSII3 wird gebeten, das Referat GII4 bei der Bewertung des Sachverhalts mit der entsprechenden Expertise zu unterstützen.“
Dabei hatte das BMI auf eine entsprechende Anfrage über eine mögliche Einwirkung des Ministers der taz im Februar geantwortet: „Die Hausleitung war in diesen Vorgang nicht eingebunden.“
„Ich fänd besser, wenn wir diese Formulierung nehmen würden, als irgendwelche Wissenschaftler zu zitieren“
Auch auf erneute Nachfrage angesichts dieser nicht wahrheitsgemäßen Auskunft antwortete das BMI am 11. Juni: „Die Beantwortung erfolgte wahrheitsgemäß. Die Ihnen vorliegenden Mails stehen unter Berücksichtigung der zeitlichen Abläufe nicht im Widerspruch zu der an Sie übermittelten Auskunft.“
Dass es hier sehr wohl einen Widerspruch gibt, zeigt diese Rekonstruktion. Die Bild gibt ein weiteres Mal einen entscheidenden Impuls, dieses Mal jenen für das Ministerbüro von Horst Seehofer, die Abteilung ÖS und somit den Verfassungsschutz in die Überarbeitung der Linksextremismuseinleitung einzubinden. Das ist zugleich der entscheidende Eingriff, der dazu führt, dass am Ende eine wissenschaftliche Definition der bpb durch eine unwissenschaftliche des Verfassungsschutzes ersetzt wird, wie die taz Anfang März rekonstruiert hatte.
Die „Expertise“ der Sicherheitsbehörden
Und was mit „Expertise“ der Sicherheitsbehörden genau gemeint ist, kann man der auf diese Anweisung des Ministerbüros folgende Abstimmung entnehmen, in der Sätze fallen wie folgender in einer Mail vom 13. Januar, 13.25 Uhr:
„Ich fänd besser, wenn wir diese Formulierung nehmen würden, als irgendwelche Wissenschaftler zu zitieren“, heißt es da; wobei „diese Formulierung“ jene des Verfassungsschutzes meint, die diesem Satz vorangeht.
„Ich stimme dem zu“, heißt es in der Antwort darauf um 13.41 Uhr. „Einheitliche Definitionen sind beim Internetauftritt von Bundesbehörden vorzugswürdig“ – obwohl die bpb keine gewöhnliche Bundesbehörde ist, sondern eine, die dem BMI nachgeordnet ist und als solche in der Lage sein sollte, ihrem Bildungsauftrag so unabhängig wie möglich nachzugehen.
In einer Bewertung der alternativen Vorschläge des bpb heißt es außerdem:
„Sowohl die alte als auch die neue Formulierung spiegeln nach unserer Einschätzung im Kern nicht die Gefährlichkeit beider Phänomenbereiche wider: Sowohl Rechtsextremismus als auch Linksextremismus gefährden die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die beiden Formulierungen stellen den Linksextremismus eher verharmlosend dar.“ Das liege daran, dass die Formulierungen „theoretischer Natur“ und „definitorisch-beschreibend“ seien. Besser sei dagegen ein „an den Realitäten orientierter Ansatz“.
Am 14. Januar um 17.08 Uhr übermittelt das Referat GII4 dann die mit der Abteilung ÖS „abgestimmte“ neue Einleitung, die ihr von jener eigentlich vordiktiert wurde, zur Veröffentlichung an die bpb.
Die bpb erklärt sich bereit, diese Formulierung zu übernehmen, möchte aber den Urheber als die „Sicherheitsbehörden“ kennzeichnen. Nach einer weiteren internen Konsultation im BMI, ob diese Ergänzung als Distanzierung vom neuen Einleitungstext gedeutet werden könnte, stimmt das Ministerium dem zu.
Und wo einst eine wissenschaftliche Formulierung in das Thema Linksextremismus einführte, steht nun ein langes Zitat, das sich fast identisch auf der Webseite des Bundesverfassungsschutzes wiederfindet.
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