Vor dem EU-Sozialgipfel in Porto: Piketty für höhere Mindestlöhne
Zum Start des EU-Sozialgipfels plädiert der Starökonom für eine bessere Bezahlung im Niedriglohnsektor. Das komme der Wirtschaft zugute.
BRÜSSEL taz | Zum Start des EU-Sozialgipfels am Freitag in Porto (Portugal) hat sich der französische Starökonom Thomas Piketty für höhere Mindestlöhne ausgesprochen. Eine bessere Bezahlung im Niedriglohnsektor schade der Wirtschaft nicht, sondern komme ihr im Gegenteil zugute. Dies betont Piketty in einem offenen Brief, der auch von Sebastian Dullien, Mariana Mazzucato und anderen prominenten Ökonomen unterschrieben wurde.
Bei dem Gipfeltreffen diskutieren die Staats- und Regierungschefs eine neue EU-Richtlinie, die für angemessene Mindestlöhne in allen 27 Mitgliedsländern sorgen soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sträubt sich gegen das Vorhaben. Auch viele andere EU-Staaten haben Vorbehalte, weil sie um die Tarifautonomie oder um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten.
Piketty weist diese Bedenken zurück. „Erstmals in der Geschichte der EU liegt ein Gesetzentwurf auf dem Tisch, der ausdrücklich darauf abzielt, nicht nur die Mindestlöhne in Europa deutlich zu erhöhen, sondern auch nationale Tarifvertragssysteme zu stärken“ schreibt er. Dieser Vorschlag sei ein Paradigmenwechsel. Es sei noch nicht lange her, dass die EU-Kommission angemessene Mindestlöhne als Hindernis betrachtete.
Die Erfahrungen Finanz- und Eurokrise hätten jedoch gezeigt, dass eine Politik des Sparens und der Lohnkürzung die Krise verschärfe. Angemessene Mindestlöhne – wie in der Richtlinie vorgeschlagen – würden die Löhne von mehr als 25 Millionen Beschäftigten in der EU verbessern, die derzeit für einen Mindestlohn arbeiten, argumentieren die Unterzeichner.
Portugal unterstützt Forderungen
„Viele von diesen 25 Millionen gehören zu den sogenannten ‚systemrelevanten‘ Beschäftigten, die dafür gesorgt haben, dass unsere Gesellschaften während der Coronakrise weiterhin funktionieren.“ Ihnen stehe nun ein angemessener – also höherer – Lohn zu. „Angemessene Mindestlöhne und starke Tarifverhandlungen sind nicht nur gut für die Beschäftigten, sie sind eindeutig auch gut für die Wirtschaft.“
Die Forderung der Ökonomen wird von der portugiesischen Linksregierung unterstützt, die derzeit den EU-Ratsvorsitz hat. Bei dem Gipfel in Porto werden aber keine verbindlichen Beschlüsse erwartet.
Der Kampf gegen Armut und für gute Jobs steht im Mittelpunkt des EU-Sozialgipfels in Porto am Freitag. Die Staats- und Regierungschefs der EU, Verbände und Gewerkschaften beraten, wie die 2017 vereinbarte Stärkung sozialer Rechte umgesetzt werden kann. Am Rande der Beratungen wird es auch um die Coronapandemie und außenpolitische Themen gehen. Das informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs dauert bis Samstag. Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nicht nach Porto, sondern schaltet sich per Video zu.
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